Projekt:
Eine von vielen Kurzgeschichten aus dem Portfolio von Talk & Write. Und eine der ersten.
Kurzgeschichte – Regina von der Straße
Sie war käuflich und schön anzusehen: Knackig, prall und süß. Gute Ware. Man sollte sie einfach so mitnehmen. Dachte ich und fragte: „Wie heißt sie?“ „Regina!“ antwortete die Frau milde lächelnd.
Regina! Ein Name mit drei Vokalen. Das war doch schon mal mehr, als ich erwarten konnte. Auch die anderen beiden hatten es mir auf den ersten Blick angetan. „Das ist Alma. Und das hier Bianca“, klärte die Frau mich auf, ohne dass ich ein weiteres Mal hatte fragen müssen.
Alma war ein bisschen kleiner als Regina. Bianca wiederum etwas blasser, fast schon durchscheinend. Beide gaben keinen Ton von sich. Vielleicht waren sie sich ihrer Wirkung bewusst. Vielleicht war es sogar eine Art geschickt eingesetzter Verkaufstaktik: Wer nichts sagt, dem kann man auch nichts vorwerfen. Jedenfalls keine dummen Antworten.
Ich bin mir nicht sicher, aber mir schien, als hatten Regina und ihre Schwestern nicht mehr viel Zeit zu verlieren. Wenn jetzt noch Kunden auftauchten, konnten sie froh sein. Das Alter ging auch an ihnen nicht spurlos vorüber. Bald würden sie aussehen wie gefallenes Obst: Saft- und kraftlos. Noch war die Nachfrage groß. Noch konnten sie mit ihren Pfunden wuchern. Doch morgen würde vielleicht schon der Herbst des Lebens kommen. Knallharte Marktwirtschaft. So ist es nun mal.
Die Lage hatten sie sich bestimmt nicht aussuchen können. Aber immerhin: Hier an der Straße gab es viele Kontaktmöglichkeiten. Stammkunden und Laufkundschaft. So wie mich. Ich hätte auch woanders anhalten können, hatte mich dann jedoch spontan entschlossen, auszusteigen und diese Frischware etwas näher zu begutachten.
Da die Frau mich zu meinem Erstaunen fast drängte und ich ihr keinen Korb geben wollte, tat ich es: Ich fasste Regina, Alma und Bianca an den dünnen Schlenkerbeinchen und hob sie in die Luft. Ich strich sanft über den deutlich geröteten Kopf. Er war glatt wie ein Babypo. Dann kostete ich von jeder ein bisschen. Mhmm! Lecker! Ich war überaus angenehm überrascht!
„Die sind ja noch knackiger, als sie aussehen!“ Doch meine heimliche Favoritin lag nach dieser ersten echten Kontaktaufnahme weiter klar in Führung: Regina! Die duftete so frisch und sah richtig gut durchblutet aus. „Ich will dich!“ hüpfte mein Herz voller Vorfreude.
Ich hatte im Prinzip auch nichts gegen Alma einzuwenden, wobei sie mir im Vergleich ein klein wenig labberiger vorkam. Vielleicht fehlte ihr auch einfach das gewisse Etwas. Sie war zwar die Kleinste, aber das hätte ich nicht unbedingt gegen sie verwendet. Es war eher eine Bauchentscheidung, die dazu führte, dass die spontane Zuneigung nicht ganz so herzlich ausfiel wie bei Regina. Bianca, die Blasse, war hingegen nicht so recht nach meinem Geschmack. Weniger Ausstrahlung, auch zweifelte ich an ihrer Charakterfestigkeit. Sie wirkte im Vergleich etwas säuerlich. Und warum sollte ich anfangen, mit ihr über Geschmack zu streiten?
Ich zeigte mit dem Finger auf meine erste Wahl und preschte mutig nach vorn. Wild entschlossen, Regina von der Straße zu holen, bevor sie mir jemand anders wegschnappte.
„Was kostet sie?“ „Ein Kilo 3 Euro“, sagte die Frau mit einem strahlenden Lächeln. „Dann nehm’ ich sie mit!“ erwiderte ich, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ich nehm´ Regina mit nach Hause!“
Cherry, cherry lady! Nur eine Stunde später hatte die Pralle schon ein ganzes Pfund verloren: Die andere Hälfte dieser köstlichen Knupperkirschen-Sorte befand sich rumorend in meinem Bauch.